Fachartikel
Lilium – zu früh zu viel gewollt. Und jetzt?
Wie der verfrühte Börsengang zum (hoffentlich nur vorläufigen) Verhängnis wurde.
Die kontroverse Diskussion über Staatskredite für Lilium, das deutsche Flugtaxi-Startup, wird noch lange nachhallen mit der Frage: Woran ist Lilium – hoffentlich nur vorläufig – tatsächlich gescheitert? Wegen der ausgebliebenen Staatskredite sagen die einen, wegen der deutschen Systemprobleme für disruptive DeepTech-Innovation sagen die anderen. Wir meinen, Lilium ist vor allem an sich selbst gescheitert, an zu vielen Herausforderungen und Risiken gleichzeitig, geschürt durch einen zu frühen Börsengang und die dadurch überhöhten Ambitionen: Für die ganz große Vision wurde direkt an zu vielen Fronten gleichzeitig gekämpft statt sich auf die neue Technologie zu fokussieren, die eine Alleinstellung im Markt verspricht. Hierfür hätten wie z.B. bei Black Semiconductor in großem Still Staatshilfen gezielt eingesetzt werden können, statt für ein nach dem Börsengang mehr und mehr aufgeblasenes und jetzt überschuldetes Unternehmen. Die Chance für einen erfolgreichen Neuanfang aus der selbstverwalteten Insolvenz liegt in der Re-Fokussierung auf den technologischen Entwicklungsfortschritt und den daran anlehnten, schrittweisen Unternehmensaufbau.
Warum ist Lilium vorerst gescheitert?
Lilium hatte ambitionierte Pläne, elektrische senkrecht startende und landende Flugzeuge (eVTOLs) zu entwickeln und damit den städtischen und regionalen Luftverkehr zu revolutionieren. Dabei wurde Lilium mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert, die als Ursachen für das Scheitern des Unternehmens gelten können oder zumindest zu ernsthaften Problemen führten:
- Technische Herausforderungen:
Lilium verfolgt einen technisch komplexen Ansatz mit einem flügelbasierten eVTOL-Design, das mehrere elektrische Turbinen statt Propeller verwendet. Dieser Ansatz ist schwierig zu entwickeln und zu zertifizieren, was zu Verzögerungen und hohen Entwicklungskosten führt. Während andere eVTOL-Anbieter wie Joby und Archer auf bewährte Designs setzten, geht Lilium mit einem weniger erprobten Modell ein hohes Risiko ein. - Kosten und Finanzierung:
Die Entwicklung und Zertifizierung von Fluggeräten ist extrem teuer. Obwohl Lilium durch Investments und einen SPAC-Börsengang erhebliche Finanzmittel einsammeln konnte, reichten diese nicht aus, um die Kosten für die Entwicklung, den Bau und die Zulassung zu decken. Die anhaltende Kapitalintensität des Projekts führte dazu, dass Lilium wiederholt Finanzierungsrunden benötigte, was das Vertrauen von Investoren untergraben hat. - Konkurrenz und Zeitdruck:
Der eVTOL-Markt ist umkämpft, und Lilium steht in direkter Konkurrenz zu Unternehmen wie Joby Aviation, Volocopter und Archer, die teilweise fortgeschrittener in ihrer Entwicklung sind. Während andere Anbieter ihre Fluggeräte schneller zur Marktreife bringen und Testflüge absolvieren, bleibt Lilium aufgrund technischer Probleme zurück. Der zunehmende Zeitdruck und die Fortschritte der Konkurrenz schränken Liliums Marktchancen weiter ein. - Regulatorische Hürden:
Die Luftfahrtindustrie ist stark reguliert, und die Zertifizierung von neuartigen Fluggeräten erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Luftfahrtbehörden wie der EASA in Europa und der FAA in den USA. Da Lilium sich auf ein relativ unerprobtes Design stützte, ist die Zertifizierung besonders anspruchsvoll und erfordert viel Zeit und Ressourcen. - Überambitionierte Vision und fehlender Fokus:
Liliums langfristige Vision, ein globales Netzwerk von Flugtaxis für regionale Flugstrecken aufzubauen, führte dazu, dass das Unternehmen an vielen Fronten aktiv war, ohne sich zunächst auf die technische Machbarkeit eines ausgereiften Fluggeräts zu konzentrieren. - Makroökonomische Faktoren:
Die aktuelle Marktlage, inklusive gestiegener Zinsen und knapper Finanzierungsmittel, macht es schwierig für kapitalintensive Unternehmen wie Lilium, weiterhin ausreichend Kapital zu beschaffen. Investoren haben ein höheres Risiko-Bewusstsein entwickelt und bevorzugen Unternehmen mit kurzfristiger Marktreife und nachgewiesenem Product-Market Fit.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Lilium unter einer Kombination aus technischen, finanziellen und strategischen Problemen leidet. Besonders die Herausforderungen bei der Entwicklung und Zertifizierung eines neuartigen Fluggeräts, gepaart mit überambitionierten Zielen und einem kapitalintensiven Geschäftsmodell, haben dazu geführt, dass das Unternehmen zunehmend ins Straucheln geraten ist.
Die Finanzierung und der Unternehmensaufbau von Lilium erfolgten nicht schrittweise entlang des Technologie-Fortschritts sondern als großer Wurf mit dem verfrühten Börsengang.
Technical Readiness Level acc. to NASA | Idealtypischer Unternehmensaufbaufokus | Idealtypische Finanzierungsquelle | Lilium Status | |
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9 | Actual system "flight proven" through successful mission operations | Voll kommerzieller Markteintritt und Skalierung | 2026 – 2027? | |
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8 | Actual system completed and "flight qualified" through test and demonstration (ground or space) | Markteintrittsvorbereitung, Demonstratoren und Pilotprojekte | 2023 – 2025? | |
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7 | System prototype demonstration in a space environment | |||
6 | System/subsystem model or prototype demonstration in a relevant environment (ground or space) | Prototyping und Validierung | 2021 (Börsengang) – 2023 | |
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5 | Component and/or breadboard validation in relevant environment | |||
4 | Component and/or breadboard validation in laboratory environment | 2019 – 2020 | ||
3 | Analytical and experimental critical function and/or characteristic proof-of concept | Grundlagenforschung und Konzepte, Machbarkeitsstudien | 2015 (Gründung) – 2018 | |
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2 | Technology concept and/or application formulated | |||
1 | Basic principles observed and reported |
Der idealtypische Aufbau der unterschiedlichen Unternehmensfunktionen entlang der Technical Readiness Level (TRL)-Stufen orientiert sich an den spezifischen Anforderungen der Technologieentwicklung und Marktreife:
TRL 1–3: Grundlagenforschung und Konzeptphase
In diesen frühen Phasen stehen die Erforschung und Validierung der Technologie im Vordergrund.
- Forschung und Entwicklung (F&E):
Ein Team, das auf wissenschaftliche Untersuchungen und die Erkundung neuer Technologien fokussiert ist. - Technologie- und Innovationsmanagement:
Management zur Überwachung und Priorisierung von Ideen und zur Entwicklung von Intellectual Property (IP). - Finanzierung und Fördermittelmanagement:
Funktionen, die sich auf die Akquise öffentlicher Fördermittel und Stipendien konzentrieren, oft in Partnerschaft mit Universitäten und Forschungseinrichtungen.
TRL 4–6: Prototyping und Validierung
Hier liegt der Fokus auf der Entwicklung und ersten Tests von Prototypen.
- Produktentwicklung und Prototypenbau:
Ein Team für Design und Fertigung, das die Technologie in greifbare Prototypen umsetzt. - Qualitätsmanagement:
Implementierung von Standards, um sicherzustellen, dass die Prototypen verlässlich getestet werden. - Projektmanagement:
Um sicherzustellen, dass Zeitpläne und Budgets eingehalten werden und die Projektziele erreicht werden. - Finanzen und Investor Relations:
Etablierung eines Teams für den Aufbau von Investorenbeziehungen und Finanzierung über Venture Capital.
TRL 7–8: Markteintrittsvorbereitung und Pilotprojekte
Diese Phase konzentriert sich auf die Vorbereitung auf den Markteintritt und den Aufbau operativer Strukturen.
- Vertrieb und Marketing:
Entwicklung einer Strategie zur Ansprache von Pilotkunden und zur Markteinführung. - Regulatory Affairs und Compliance:
Sicherstellung der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und Zertifizierungen. - Produktion und Betriebsmanagement:
Aufbau von Kapazitäten für die Produktion kleiner Serien und zur Skalierung. - Kundendienst und technischer Support:
Etablierung von Support- und Serviceteams zur Begleitung erster Kunden.
TRL 9: Markteintritt und Skalierung
In dieser Phase wird das Produkt kommerzialisiert und skaliert.
- Vertrieb, Marketing und Business Development:
Expansion der Vertriebsaktivitäten und Entwicklung langfristiger Partnerschaften. - Supply Chain Management und Produktion:
Optimierung der Produktionskapazitäten zur Unterstützung größerer Stückzahlen und Skalierung. - Kundenservice und Support-Management:
Ausweitung des Kundenservices zur Unterstützung einer wachsenden Kundenbasis. - Finanzen und Reporting:
Etablierung eines robusten Finanz- und Berichterstattungssystems für Skalierungsanforderungen und ggf. einen Börsengang.
Diese strukturierte Entwicklung der Unternehmensfunktionen hilft dabei, die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen zu jedem Zeitpunkt gezielt auszubauen, um den Fortschritt der Technologie zur Marktreife zu unterstützen.
Auch die unterschiedlichen Finanzierungsquellen können idealtypisch den verschiedenen Technical Readiness Level (TRL) zugeordnet werden:
TRL 1–3: Grundlagenforschung und Machbarkeitsstudien
In den frühen Entwicklungsphasen geht es oft um die Validierung einer Idee oder die Erforschung grundlegender Technologien. Diese Phasen bieten noch keine unmittelbare Aussicht auf Markteintritt. Daher eignen sich folgende Finanzierungsquellen:
- Öffentliche Forschungsförderung:
Forschungsstipendien und Zuschüsse von staatlichen Einrichtungen (z. B. EU-Forschungsprogramme, National Science Foundation). - Akademische Partnerschaften:
Hochschulen und Universitäten sind oft Quellen für Ressourcen und Expertise. - Angel-Investoren:
In seltenen Fällen, insbesondere bei stark innovativen Projekten, könnten Angel-Investoren frühzeitig einsteigen, wenn das Konzept vielversprechend ist.
TRL 4–6: Validierung und Prototypenentwicklung
In diesen Phasen werden Labortests und Prototypenentwicklungen durchgeführt, um die Machbarkeit und Funktionalität in relevanten Umgebungen zu überprüfen. Dafür eignen sich besonders folgende Finanzierungsformen:
- Seed-Finanzierung und Venture Capital (VC):
VC-Firmen interessieren sich für Unternehmen mit Prototypen, die Potenzial für Marktwert haben, obwohl noch technologische Risiken bestehen. - Corporate Venture Capital (CVC):
Große Unternehmen könnten sich beteiligen, wenn die Technologie für ihre eigene Wertschöpfungskette nützlich ist. - Förderprogramme für Prototypen:
Regierungen bieten oft Programme an, um die Entwicklung von Prototypen zu unterstützen, beispielsweise EU-Horizon-Programme.
TRL 7–8: Pilotprojekte und Demonstrationen
Mit einer funktionierenden Technologie, die in realistischen Umgebungen getestet wurde, sind für das weitere Wachstum größeren Investitionen erforderlich. Zu dieser Phase gehören folgende Finanzierungsarten:
- Wachstumsfinanzierung durch Private Equity:
Private-Equity-Firmen investieren häufig in Unternehmen mit klarer Marktstrategie, aber einem Bedarf an Kapital für Produktions- und Markteintrittskosten. - Joint Ventures und Partnerschaften:
Partnerschaften mit etablierten Unternehmen können Finanzmittel, Produktionskapazitäten und Marktzugang bereitstellen. - Venture Debt und Mezzanine-Kapital:
Für Unternehmen, die schon Umsätze oder Pilotaufträge generieren, bieten solche Formen Fremdkapital ohne direkte Unternehmensanteile.
TRL 9: Marktreife und Skalierung
Die Technologie ist ausgereift und der Marktstart steht bevor. Diese Phase benötigt Finanzierungsformen, die auf schnelles Wachstum und Skalierung abzielen:
- Börsengänge (IPO):
Unternehmen mit einer ausgereiften Technologie, die reif für den Markt ist, ziehen häufig einen Börsengang in Betracht. - Strategische Akquisitionen:
Etablierte Firmen in der Branche kaufen Unternehmen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. - Bankdarlehen und Anleihen:
Unternehmen mit stabilen Einnahmen und niedrigem Risiko können konventionelle Kredite oder Unternehmensanleihen nutzen.
Die Wahl der Finanzierungsform hängt also vom Entwicklungsstand der Technologie und dem Finanzierungsbedarf des weiteren Unternehmensaufbaus und der Markteintrittsvorbereitungen ab.
Lilium hatte bei seinem Börsengang in 2021 ein TRL von 5–6, heute von 7–8, optimal für einen Börsengang und den damit verbundenen Wachstumserwartungen ist ein TRL von 8–9. Wenn eine Firma mit IPO-Geld so aufgebaut wird, als läge bereits ein TRL von 8–9 vor, tatsächlich aber erst ein TRL von 5–6 gegeben ist, fehlt der richtige Management- und Entwicklungsfokus. Das viele Geld wird zu früh und falsch ausgegeben, „das Pferd wird von hinten aufgezäumt.“
Was kann Lilium jetzt besser machen?
Falls es Lilium gelingt in der eigenverwalteten Insolvenz ausreichend Finanzierungsmittel zur Verfügung zu haben, muss das strategische und operative Turnaround Management unseres Erachtens auf den Technologiefortschritt re-fokussiert und der weitere Unternehmensaufbau daran angepasst werden, um damit möglichst planbar die Erfolgschancen zu verbessern und die Risiken zu minimieren:
- Fokussierung auf die technischen Alleinstellungsmerkmale:
Die elektrische Batterie- und Turbinentechnik von Lilium stellt die zentrale Differenzierung zu Wettbewerbern wie z.B. Volocopter und Joby mit Rotortechnik da, die technische Risiken mindert und die Zertifizierung erleichtert, aber dafür viele Kompromisse in Kauf nimmt: höhere Lärmbelastung bei Start und Landung, eingeschränkte Flexibilität und Manövrierfähigkeit, geringere Höchstgeschwindigkeit, geringere Effizienz bei hoher Geschwindigkeit, dadurch geringere Reichweite für weniger Passagiere, insgesamt nur für großstädtische nicht aber regionale Mobilität geeignet, insgesamt weniger breite Palette an Anwendungsfällen als Lilium. Die Re-Fokussierung auf die Technical Readiness von Liliums Technologie ist die Basis für das größere Marktpotenzial und die stärke Marktposition im Wettbewerb. Für eine Übergangsphase bietet sich ggf. auch die Verwendung eines Hybridmodells an, das kurzfristige Vorteile nutzt und die langfristige Alleinstellung sichert. - Schrittweise Markteinführung statt langfristiger Vision:
Anstatt sofort ein globales Netz von Flugtaxis aufzubauen, sollte Lilium auf eine stufenweise Markteinführung setzen können. Der Fokus auf wenige, strategisch ausgewählte Städte und Regionen mit Unterstützung lokaler Partner kann es Lilium ermöglichen, erste Einnahmen zu generieren und das Produkt iterativ weiterzuentwickeln. - Partnerschaften zur Risikoreduktion:
Lilium sollte gezielt weitere strategische Partnerschaften in Bereichen wie Technologie, Fertigung und Infrastruktur suchen, um Risiken zu reduzieren und auf externe Expertise zurückzugreifen. Auch Kooperationen mit etablierten Luftfahrtunternehmen oder Technologieanbietern können zusätzliche Ressourcen und Marktzugang sichern. - Fokus auf Zertifizierungsprozesse und Marktzugang:
Neben der Re-Fokussierung auf technologischen Fortschritt sollte Lilium mehr Ressourcen und Know-how in den regulatorischen Prozess investieren. Eine intensivere Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden und deren Einbindung in den Entwicklungsprozess kann regulatorische Risiken reduzieren und den Zertifizierungsprozess beschleunigen. - Effizienteres Finanzmanagement:
Lilium kann mit einem an den technologischen Fortschritt angelehnten, schrittweisen Unternehmensaufbau die Kapitalkosten und den Mittelverbrauch effizienter steuern. Dazu gehört eine klare Priorisierung und Reduzierung nicht notwendiger Teilprojekte. - Fokussierung auf frühen Product-Market Fit:
Lilium sollte noch konsequenter erste Pilotprojekte planen und vorbereiten, um den konkreten Bedarf und die Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden besser zu verstehen. Ein klarer Product-Market Fit stärkt das Vertrauen der Investoren und gibt mehr Sicherheit über die wirtschaftliche Machbarkeit des Geschäftsmodells.
Insgesamt kann Lilium unseres Erachtens von einer fokussierteren und pragmatischeren Strategie profitieren. Ein klarer Fokus auf technische Machbarkeit, regulatorische Anforderungen und eine schrittweise Markteinführung können die Überlebens- und Erfolgschancen von Lilium im hoch kompetitiven eVTOL-Markt deutlich verbessern.
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